OLG Hamm: Sorgfaltspflichten beim Paartanz – Discofox auf eigene Gefahr

tanzende Menschen
No risk, no fun!

Was auch mal jemand eingehend betrachten musste, ist die Frage, ob die Beteiligung an einem Discofox im Rahmen einer Feier (die Älteren erinnern sich ggf. noch) auf eigene Gefahr erfolgt oder ob man den Tanzpartner, auch den, der neben einigen Gläsern Bier möglicherweise auch einen „Jägermeister“ konsumiert hat, nach einem Tanzunfall auf Schadensersatz in Anspruch nehmen kann. Der 7. Senat des Oberlandesgerichts (OLG) Hamm hat sich der Thematik dankenswerterweise angenommen.

Leitsätze (Reihenfolge geändert):

  • In der freiwilligen Aufnahme eines Paartanzes kann – so auch hier – eine konkludente Einwilligung in die mit dem jeweiligen Tanz typischerweise einhergehenden – nur einfach fahrlässig durch den Tanzpartner verursachten – (Verletzungs-)Risiken liegen.
  • Die Erklärung eines Tanzpartners nach einem Sturz beim Tanzen gegenüber dem anderen, verletzten Tanzpartner „Ich zeige mich auf jeden Fall an, wenn irgendetwas ist.“ stellt mangels erforderlichen Rechtsbindungswillens kein (deklaratorisches) Anerkenntnis dar.

Hintergrund

Wenn auch aktuell kaum noch vorstellbar, war der anlassgebende Vorfall in vorpandemischer Zeit kein ungewöhnlicher. Rn. 5 (Hervorhebungen sämtlich durch den Verfasser):

Am Abend des 31.08.2019 feierte die Ehefrau des Beklagten […] in einem Gasthof […] ihren Geburtstag. Im Laufe der Feier trank der Beklagte einige Gläser Bier und möglicherweise auch einen „Jägermeister“. Als die Klägerin gegen Mitternacht […] nach Hause gehen wollte, überredete der Beklagte sie, zuvor noch mit ihm zu tanzen. Die Parteien tanzten 2 oder 3 Tänze miteinander. Beim Tanz Disco Fox stürzten beide Parteien, wobei der Beklagte auf die auf dem Rücken am Boden liegende Klägerin fiel.

Man stritt sodann über Verdienstausfall und Schmerzensgeld.

Discofox auf eigene Gefahr, Spontanerklärung an Ort und Stelle in der Regel kein Schuldanerkenntnis

Zum Risiko der Beteiligung an einem Gesellschaftstanz, insbesondere der Ausübung des Discofox (Rn. 33):

Letztlich hat die Klägerin jedenfalls in das mit dem Tanz eines schnellen Disco Fox einhergehende Risiko eingewilligt. Sie hat freiwillig mit dem Beklagten getanzt […]. Zu ihren Lasten hat sich – zufällig – ein Risiko verwirklicht, dem alle Teilnehmer eines solchen Gesellschaftstanzes auf einer derartigen Veranstaltung in gleichem Maße ausgesetzt gewesen sind. Bei dem Disco Fox handelt es sich um den auf Geburtstagsfeiern und ähnlichen Festen wohl meist verbreiteten Gesellschaftstanz. Es kann davon ausgegangen werden, dass der Klägerin sowohl dessen schnelle Ausführung als auch die üblichen Figuren und Drehungen, bei denen die Partner teils enger, teils loser miteinander tanzen, bekannt waren. Da der Disco Fox grundsätzlich recht schnell und wegen der verschiedenen üblichen Figuren und Drehungen auch raumgreifend ausgeführt wird, kommt es dabei immer wieder zu kleineren Zusammenstößen mit anderen Tänzern und vereinzelten Stürzen. Dies ist den Teilnehmern bewusst und wird in Kauf genommen. Es verstieße gegen den Grundsatz von Treu und Glauben (§ 242 BGB) und wäre deshalb unbillig, wenn derjenige, zu dessen Lasten sich das den Teilnehmern drohende Risiko realisiert hat, gegenüber den anderen Teilnehmern Ersatzansprüche geltend machen könnte. In dem einverständlichen Paartanz auf einer Tanzfläche mit mehreren Tanzpaaren liegt eine bewusste Risikoübernahme, ein Handeln […] auf eigene Gefahr (anders bei sog. „Rempeltanz“, vgl. BGH MDR 2006, 990).

Zur (rechtlichen) Bedeutungslosigkeit spontaner Äußerungen nach (Tanz-)Unfällen, Rn. 21ff.:

Aber auch ein formlos mögliches deklaratorisches Schuldanerkenntnis liegt nicht vor. […]

Eine derartige Erklärung ist in der spontanen Äußerung des Beklagten, „sich anzuzeigen“, nicht zu sehen. Die Situation ist hier vergleichbar der, dass ein Beteiligter am Ort eines Verkehrsunfalls eine Erklärung zum Verschulden abgibt. Mündliche Äußerungen, die in der ersten Aufregung an der Unfallstelle abgegeben werden, können im Allgemeinen nicht als rechtsverbindliche Anerkenntniserklärung gewertet werden, sondern haben nur als unüberlegte Beruhigungen für den Verletzten zu gelten […]. Für das Schaffen eines neuen Schuldgrundes besteht unmittelbar nach dem Unfallgeschehen kein Anlass. Regelmäßig sind Äußerungen zur Verursachung oder zum Verschulden des Verkehrsunfalls durch die Aufregung nach dem Unfall veranlasst und nicht Ausdruck des Willens, eine – versicherungsvertragrechtliche bedenkliche – rechtsverbindliche Erklärung abzugeben […].

Gleiches gilt hier. Dass der Beklagte unmittelbar nach dem Vorfall in der ersten Aufregung und zudem in einem nicht mehr ganz nüchternen Zustand mit Rechtsbindungswillen erklären wollte, der Klägerin auf Schmerzensgeld und Schadensersatz zu haften, ist seiner Aussage nicht zu entnehmen. Für ein derartiges Anerkenntnis fehlt der Rechtsbindungswille.

OLG Hamm, Hinweisbeschluss vom 29.12.2020, Az. 7 U 90/20