Kurz:
Chuck Norris bekommt Schadensersatz, wenn er auf der Kirmes während der Lasershow im Dunklen auf dem Weg zur Toilette versehentlich über eine 3cm hohe Kabelbrücke stolpert. Alle anderen bekommen – z.B. vom Oberlandesgericht (OLG) Hamm – das hier zu hören: „Für den Fall, dass sie dabei den Boden nicht hinreichend erkennen konnte, musste sie für den Zeitraum der Verdunklung verweilen oder sich eines Hilfsmittels (bspw. Handytaschenlampe) bedienen, sich Fuß an Fuß setzend vortasten oder einen hinreichend ausgeleuchteten Weg einschlagen.“
Etwas länger:
Dem OLG Hamm ist es nicht erspart geblieben, sich mit den möglicherweise besonderen Verkehrssicherungspflichten zu befassen, die einen Kirmesveranstalter während einer kurzzeitigen Lasershow hinsichtlich der Kenntlichmachung einer 3cm hohen Kabelbrücke treffen. Der 7. Senat hat das Beste daraus gemacht und die einschlägige Rechtsprechung in einen Hinweisbeschluss gegossen, der dann zur Berufungsrücknahme führte.
Leitsatz
Der Veranstalter eines Jahrmarktes ist im Rahmen der ihn treffenden Verkehrssicherungspflicht nicht verpflichtet, auf einem an sich ausreichend ausgeleuchteten Jahrmarktgelände eine Versorgungs-/Kabelbrücke mit Leuchtstreifen zu versehen, gesondert anzustrahlen o.ä., wenn die allgemeine Beleuchtung im Rahmen einer zum Verweilen und Betrachten einladenden und angekündigten Lasershow nur vorübergehend ausgeschaltet wird.
Aus den Gründen (Rn. 7-18)
Die Beklagte hat indes ihre Verkehrssicherungspflicht nicht verletzt, indem sie die Kabelbrücke mit einer Höhendifferenz von 3 cm nicht durch farbliche Markierungen besonders kenntlich gemacht hat.
a) Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist derjenige, der eine Gefahrenlage – gleich welcher Art – schafft, grundsätzlich verpflichtet, die notwendigen und zumutbaren Vorkehrungen zu treffen, um eine Schädigung anderer möglichst zu verhindern. Die rechtlich gebotene Verkehrssicherung umfasst diejenigen Maßnahmen, die ein umsichtiger und verständiger, in vernünftigen Grenzen vorsichtiger Mensch für notwendig und ausreichend hält, um andere vor Schäden zu bewahren. Verkehrssicherungspflichtig ist auch derjenige, der in seinem Verantwortungsbereich eine eingetretene Gefahrenlage andauern lässt (BGH Urt. v. 2.10.2012 – VI ZR 311/11, BGHZ 195, 30 = r+s 2013, 97 Rn. 6 m. w. N.).
Zu berücksichtigen ist jedoch, dass nicht jeder abstrakten Gefahr vorbeugend begegnet werden kann. Ein allgemeines Verbot, andere nicht zu gefährden, wäre utopisch. Eine Verkehrssicherung, die jede Schädigung ausschließt, ist im praktischen Leben nicht erreichbar. Haftungsbegründend wird eine Gefahr erst dann, wenn sich für ein sachkundiges Urteil die nahe liegende Möglichkeit ergibt, dass Rechtsgüter anderer verletzt werden. Deshalb muss nicht für alle denkbaren Möglichkeiten eines Schadenseintritts Vorsorge getroffen werden. Es sind vielmehr nur die Vorkehrungen zu treffen, die geeignet sind, die Schädigung anderer tunlichst abzuwenden. Der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt ist genügt, wenn im Ergebnis derjenige Sicherheitsgrad erreicht ist, den die in dem entsprechenden Bereich herrschende Verkehrsauffassung für erforderlich hält. Daher reicht es anerkanntermaßen aus, diejenigen Sicherheitsvorkehrungen zu treffen, die ein verständiger, umsichtiger, vorsichtiger und gewissenhafter Angehöriger der betroffenen Verkehrskreise für ausreichend halten darf, um andere Personen vor Schäden zu bewahren, und die den Umständen nach zuzumuten sind (BGH Urt. v. 2.10.2012 – VI ZR 311/11, BGHZ 195, 30 = r+s 2013, 97 Rn. 7 m. w. N.).
Kommt es in Fällen, in denen hiernach keine Schutzmaßnahmen getroffen werden mussten, weil eine Gefährdung anderer zwar nicht völlig ausgeschlossen, aber nur unter besonders eigenartigen und entfernter liegenden Umständen zu befürchten war, ausnahmsweise doch einmal zu einem Schaden, so muss der Geschädigte – so hart dies im Einzelfall sein mag – den Schaden selbst tragen (BGH Urt. v. 2.10.2012 – VI ZR 311/11, BGHZ 195, 30 = r+s 2013, 97 Rn. 8).
Bezüglich der Verkehrssicherungspflicht eines (Jahr-)Marktbetreibers im Hinblick auf Versorgungsleitungen ist in der obergerichtlichen Rechtsprechung, insbesondere auch der ständigen Rechtsprechung der für diese Fragen zuständigen Senate des Oberlandesgerichts Hamm, weiter anerkannt, dass (Jahr-)Marktbesucher […] aufgrund der nur temporären Errichtung von Ständen stets mit Hindernissen durch oberirdisch verlegte Versorgungsleitungen rechnen müssen. (Jahr-)Marktbesucher – anders als etwa Super- oder Baumarktbesucher – müssen sich deshalb auf die unvermeidbaren, aber bekannten Behinderungen einstellen (vgl. nur OLG Naumburg Urt. v. 17.11.2011 – 2 U 90/11, MDR 2012 = juris Rn. 27).
Den verbleibenden Gefahren kann der Betreiber – je nach den Umständen des Einzelfalls – durch eine gesonderte Abdeckung, etwa durch Gummi- / Kunststoffmatten begegnen (vgl. etwa OLG Naumburg Urt. v. 17.11.2011 – 2 U 90/11, MDR 2012 = juris Rn. 28 ff.; OLG Koblenz Beschl. v. 24.3.2009 – 5 U 76/09, MDR 2009, 806 = juris Rn. 5 ff.).
Wie der Bundesgerichtshof zuletzt für den Betreiber und Kunden eines Lebensmittelmarktes im Hinblick auf die Räum- und Streupflicht auf markierten Stellplätzen klargestellt hat (vgl. BGH Urt. v. 2.7.2019 – VI ZR 184/18, r+s 2019, 606 Rn. 11-24), muss entsprechend – nach den Umständen des konkreten Einzelfalls – der Betreiber eines (Jahr-)Marktes nicht jede Gefahr beseitigen oder besonders kennzeichnen und muss entsprechend dem Gast zugemutet werden, abhängig von den jeweiligen Lichtverhältnissen und einer Unsicherheit über die Bodenbeschaffenheit besondere Sorgfalt walten zu lassen und seinen Gang an die Umstände anzupassen.
b) Gemessen daran liegt hier keine Verkehrssicherungspflichtverletzung vor.
aa) Die Klägerin musste nach der angekündigten und kurzzeitigen Reduzierung des Lichts, die die Anwesenden gerade zum Verweilen und Betrachten einlud und der Hervorhebung der anstehenden Lasershow diente, bei ihrem dem nicht entsprechenden Verhalten (Gang zur Toilette) besondere Vorsicht walten lassen.
Da auf temporär eingerichteten Märkten ohnehin jederzeit mit Versorgungsleitungen – hier besonders abgedeckt durch eine Kalbelbrücke – zu rechnen ist (vgl. schon oben), musste sie auf dem Weg zur Toilette ihr Augenmerk vollständig auf den vor ihr liegenden Weg und etwaige Hindernisse richten und ihren Gang an die Verhältnisse anpassen, d. h. sorgfältiger als sonst ihres Weges gehen (vgl. BGH Urt. v. 2.7.2019 – VI ZR 184/18, r+s 2019, 606 Rn. 24).
Für den Fall, dass sie dabei den Boden nicht hinreichend erkennen konnte, musste sie für den Zeitraum der Verdunklung verweilen oder sich eines Hilfsmittels (bspw. Handytaschenlampe) bedienen, sich Fuß an Fuß setzend vortasten oder einen hinreichend ausgeleuchteten Weg einschlagen.
bb) Umgekehrt musste die Beklagte für den kurzen Zeitraum der Verdunklung für die anstehende Lasershow die Kabelbrücke nicht besonders ausleuchten oder mit einer farblichen Markierung versehen (vgl. zur zeitlichen Komponente BGH Urt. v. 2.7.2019 – VI ZR 184/18, r+s 2019, 606 Rn. 15).
OLG Hamm, Hinweisbeschluss vom 18.01.2021, Az. 7 U 69/20