OLG Hamm: DIN-Normen für Elektrozäune dienen nicht dem Schutz der Ballonfahrt

Schafe abends auf einer Weide
Schafe abends auf einer Weide

Das Oberlandesgericht (OLG) Hamm hat sich abermals um Verkehrssicherungspflichten verdient gemacht. Während professionelle Tierhalter:innen aufatmen können, müssen Ballonfahrer:innen sich von einer in ihren Kreisen offenbar verbreiteten Vorstellung verabschieden. Es ist nämlich so, dass die Normen

  • DIN EN 60335-2-76 („Sicherheit elektrischer Geräte für den Hausgebrauch und ähnliche Zwecke“, regelt Elektrozäune mit Spannungen bis 250 Volt) und
  • DIN VDE 0131 VDE 0131 („Errichtung und Betrieb von Elektrozaunanlagen für Tiere“)

nicht dem Schutz des Luftverkehrs und damit auch nicht dem von Ballonfahrer:innen dienen.

Ein Heißluftballon war auf einer völlig entlegenen Grünfläche gelandet, die wegen der darauf befindlichen Kühe von einem elektrifizierten Stacheldrahtzaun umgeben war. Durch einen Windstoß verfing die Hülle des Ballons sich in dem Zaun und riss, sodass das Wasserstoff-Gasgemisch austrat und infolge eines Funkenüberschlags die elektrisch leitfähige Ballonhülle in Brand setzte. Man versuchte sich nunmehr bei dem Betreiber des Elektrozauns schadlos zu halten, da der Zaun nicht durch ein Warnschild für Fußgänger gekennzeichnet war.

Ohne das OLG Hamm! Leitsätze:

  1. Den Eigentümer eines Weidegrundstücks trifft dann keine Sicherungspflicht, wenn nach den konkreten Umständen an dieser Stelle für Dritte kein „Verkehr“ eröffnet worden ist.
  2. Die DIN Norm EN 60335-2-76 bezweckt nicht den Schutz eines Ballonfahrers vor Sachschäden, die dieser dadurch erleidet, dass der Ballon nach sicherer Landung durch einen Windstoß in einen die Weide einzäunenden stromführenden Stacheldrahtzaun gerät und hierbei in Brand gerät.
  3. Die in DIN VDE 0131 geregelte Kennzeichnungspflicht für einen Elektrozaun bezweckt nicht den Schutz des Luftverkehrs.

Aus den Gründen (Rn. 17ff.):

4.4 Keinesfalls bezweckt die DIN Norm EN 60335-2-76 nach ihrer erkennbaren Stoßrichtung den Schutz eines Ballonfahrers vor Sachschäden, die dieser dadurch erleidet, dass er den Ballon auf einer Weide landet und die Ballonhülle nach der sicheren Landung im Rahmen des Bergens des Gasballons durch einen Windstoß in den die Weide einfriedenden stromführenden Stacheldrahtzaun gerät und dadurch Schaden nimmt. Dass ein Gasballon ohne vorherige Erlaubnis berechtigt gem. § 25 Abs. 2 Nr. 1 LuftVG auf einem fremden Grundstück niedergeht, weil der Ort der Landung infolge der besonderen Eigenschaften des Ballons nicht vorhersehbar ist, ist zwar wegen der eingeschränkten Steuerungsmöglichkeiten die Regel, führt aber nicht dazu, dass ein Grundstückseigentümer sich hierauf auch in besonderer Weise einrichten müsste. Deliktische Sorgfalts- wie Verkehrssicherungspflichten schützen in funktionaler Hinsicht nur vor solchen Rechtsgutsverletzungen, derentwegen sie bestehen. Es muss sich mithin diejenige Gefahr realisiert haben, deren Vermeidung die verletzte Sorgfaltspflicht bezweckte, deren Abwehr also die Verkehrssicherungspflicht diente (Oberlandesgericht des Landes Sachsen-Anhalt v. 16.11.2012 – 1 U 109/12 – juris Rn. 8). Unter diesen funktionalen Schutzbereich aber fällt die Gefahr, die sich im Falle des Klägers realisiert hat, nicht.

5. Ob das Ausmaß des Schadens maßgeblich durch die besondere Beschaffenheit des Gasballons geprägt worden ist, bedarf keiner abschließenden Stellungnahme, ist aber nicht von der Hand zu weisen. Denn nach der Darstellung des Klägers ist die Ballonhülle besonders elektrisch leitfähig. Hinzu kommt, dass der Ballon mit einem Wasserstoff-Gasgemisch gefüllt war. Wasserstoff ist im Gegensatz zu Helium aber brennbar, was in der Vergangenheit gelegentlich zu Unglücken geführt hat, wie z.B. dem des Zeppelins D-LZ 129 Hindenburg.

6. Der Kläger kann seinen Anspruch auf nicht darauf stützen, dass nach seiner Behauptung die Beklagten nicht durch ein entsprechendes Warnschild auf den stromführenden Stacheldrahtzaun hingewiesen hätten.

6.1 Nach DIN VDE 0131 „Errichtung und Betrieb von Elektrozaunanlagen“ müssen an sichtbarer Stelle Warnschilder angebracht werden. Auf den Schildern müssen ein Sicherheitszeichen und die Aufschrift „Vorsicht Elektrozaun“ zu sehen sein. […] Die Warnschilder sind bei Annäherung an Verkehrswege in Abständen von etwa 100 m und bei Einmündungen von Nebenwegen sowie an Stellen, an denen keine Elektrozaunanlage vermutet wird, anzubringen.

6.2 Die in der vorgenannten DIN bis ins Detail geregelte Kennzeichnungspflicht dient ebenso wenig dem Schutz des Luftverkehrs wie die DIN EN 60335-2-76. Die Warnbeschilderung betrifft Elektrozaunanlagen an öffentlichen Straßen und Wegen und richtet sich daher vorrangig an Teilnehmer des Straßenverkehrs. Soweit eine Kennzeichnungspflicht verlangt wird für Elektrozäune, die sich an Stellen befinden, an denen man nicht mit diesen rechnet, wie z.B. auf freier Flur zur Abtrennung einzelner Teile einer Grünfläche, so dient dies ausschließlich Personen, die sich am Boden bewegen, und nicht dem Luftverkehr. Dass sich der Ballonfahrer in der Praxis an solchen Schildern für die Auswahl seines Landeplatzes orientiert, wenn er sie denn überhaupt erkennen kann, mag sein, ist dann aber nur eine nützliche Begleiterscheinung, die den Ballonfahrer aber nicht zum Begünstigten einer solchen Regelung macht.

OLG Hamm, Hinweisbeschluss vom 19.02.2021 (in der Folge auch Zurückweisungsbeschluss vom 09.04.2021), Az. 9 U 172/20