Der reale Hintergrund des am Verwaltungsgericht (VG) Gelsenkirchen geführten Streits um Einsicht in die Bauakten eines Nachbargrundstücks ist – dies offenbart die Schilderung des Sachverhalts im Urteil vom 08.03.2021 – ein langjähriger und intensiver Konflikt zwischen einem Landwirt und einem Landschaftsgärtner (über den Kläger heißt es dort, er tyrannisiere die Nachbarsfamilie seit fast 12 Jahren und versuche immer wieder, den Nachbarn, der dem Stadtrat angehört, durch Falschbehauptungen und Unwahrheiten zu denunzieren).
Um das vorweg zu nehmen: Das VG hat die Bauaufsichtsbehörde verpflichtet, dem Kläger (nur) insoweit Einsicht in die Bauakten zu geben als sie Angaben zur Abwasserbeseitigung, zu Veränderungen der Geländeoberfläche, zur Flächenversiegelung und zu Aufschüttungen und Abgrabungen enthalten.
Für am konkreten Nachbarschaftsdrama nicht Beteiligte sind u.a. die Leitsätze der Entscheidung sowie die Ausführungen zur Abgrenzung personenbezogener vs. Sachdaten und zu den bauordnungsrechtlichen Bezügen interessant:
- Aus § 4 Abs. 1 des Gesetzes über die Freiheit des Zugangs zu Informationen für das Land Nordrhein-Westfalen […] ergibt sich grundsätzlich ein Anspruch auf Einsichtnahme in die bei den Bauaufsichtsbehörden geführten Bauakten. (Leitsatz 1)
- Eine Bauakte ist in ihrer Gesamtheit regelmäßig eine Sammlung personenbezogener Daten. (Leitsatz 3)
- Eine Einsichtnahme in eine Bauakte zur Prüfung und Durchsetzung solcher [d.h. zivilrechtlicher, Anm. des Verf.] Ansprüche bleibt […] auf die Informationen beschränkt, die zur Wahrnehmung des rechtlichen Interesses erforderlich sind. (Leitsatz 5)
Randnummern 69-89 der Entscheidung:
Die im Streit stehende Bauakte, die der Kläger insgesamt einsehen will, ist in ihrer Gesamtheit eine Sammlung personenbezogener Daten.
Der Begriff der personenbezogenen Daten in § 9 Abs. 1 Hs. 1 IFG NRW entspricht dem im Datenschutzrecht verwendeten, der heute Art. 4 Nr. 1 der Datenschutzgrundverordnung (DS-GVO) zu entnehmen ist. Art. 4 Nr. 1 DS-GVO übernimmt dabei seinerseits im Wesentlichen die bereits zuvor in Art. 2 Buchstabe a) der Richtlinie 95/46/EG enthaltene Begriffsdefinition. Nach Art. 4 Nr. 1 DS-GVO sind unter „personenbezogenen Daten“ alle Informationen zu verstehen, die sich auf eine identifizierte oder identifizierbare natürliche Person beziehen; als identifizierbar wird eine natürliche Person angesehen, die direkt oder indirekt, insbesondere mittels Zuordnung zu einer Kennung wie einem Namen, zu einer Kennnummer, zu Standortdaten, zu einer Online-Kennung oder zu einem oder mehreren besonderen Merkmalen, die Ausdruck der physischen, physiologischen, genetischen, psychischen, wirtschaftlichen, kulturellen oder sozialen Identität dieser natürlichen Person sind, identifiziert werden kann. Erfasst sind damit alle Informationen, die über die Bezugsperson etwas aussagen, unabhängig davon, welchen Lebensbereich sie betreffen. Dies schließt neben den Angaben über den Betroffenen selbst, seine Identifizierung und Charakterisierung auch Angaben zu einen auf ihn beziehbaren Sachverhalt ein. Dazu gehören wiederum auch die rechtlichen, sozialen, wirtschaftlichen und sonstigen Beziehungen des Betroffenen zur Umwelt. Der Terminus der personenbezogenen Daten ist damit außerordentlich weit zu verstehen.
[…]
Zwar sind die personenbezogenen Daten im Sinne des Art. 4 Nr. 1 DS-GVO von solchen Daten abzugrenzen, die ausschließlich anderen Betroffenen zuzuordnen oder sachbezogen sind. Sachbezogen sind Daten, die eine Sache beschreiben. Wird allerdings mit der Sachinformation zugleich eine Aussage zur Bezugsperson getroffen, so handelt es sich insoweit (auch) um ein personenbezogenes Datum. Sachbezogene Daten sind mithin dann personenbezogen, „wenn sie die Sache identifizieren und in dem nach dem jeweiligen Lebenszusammenhang zur Beschreibung der Person-Sach-Beziehung notwendigen Umfang charakterisieren“.
[…]
Auch der Europäische Gerichtshof geht grundsätzlich von einem weiten Begriffsverständnis aus. Auch nach seiner Rechtsprechung sind personenbezogene Daten nicht lediglich sensible oder private Informationen, sondern alle Arten von Informationen – und damit auch solche mit Sachbezug -, die aufgrund ihres Inhalts, ihres Zwecks oder ihrer Auswirkungen mit einer bestimmten Person verknüpft sind.
[…]
Haben demzufolge Sachangaben im jeweils gegebenen Kontext Auswirkungen entweder auf die rechtliche, die wirtschaftliche oder die soziale Position des Betroffenen oder eignen sie sich zur Beschreibung seiner individuellen Verhältnisse, so sind sie ihm als eigene personenbezogene Daten zuzurechnen.
[…]
Nur dann, wenn solche Auswirkungen ausgeschlossen sind, bleiben es reine Sachdaten.
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Hiervon ausgehend weisen die in den Bauakten üblicherweise enthaltenen Angaben (vor allem Bauanträge nebst Bauvorlagen, Baugenehmigungen, Bauzustandsbesichtigungsbescheinigungen, ggf. auch bauordnungsrechtliche Ordnungsverfügungen) nicht nur einen Sachbezug zu dem Baugrundstück und den dort befindlichen baulichen Anlagen, sondern – soweit es sich jeweils um natürliche Personen handelt, deren Identität bereits bekannt oder zumindest bestimmbar ist – hinsichtlich des Bauherrn, des Eigentümers und bzw. oder des Mieters oder des sonstigen Nutzers regelmäßig auch einen Personenbezug im Sinne des Art. 4 Nr. 1 DS-GVO auf.
[…]
Unzweifelhaft gilt dies für die Angaben etwa über die Identität der einzelnen im Baugenehmigungsverfahren beteiligten natürlichen Personen, darüber hinaus aber auch für Angaben über die Eigentumsverhältnisse oder Verträge mit Dritten.
[…]
Auch die Flurstücksbezeichnung, ggf. auch eine Hausnummer, welche das einzelne Grundstück individualisiert, sowie die Grund- und Bodenpreise sind personenbezogene Daten, soweit nur einzelne Dritte über die erforderlichen Zusatzinformationen zur Herstellung eines Personenbezuges verfügen.
[…]
Auch Angaben über genaue Wohnungszuschnitte bzw. die Lage und Nutzung einzelner Räume und Zugänge haben einen Personenbezug. Denn auch solchen Informationen kommt eine relevante Aussage jedenfalls zu etwaigen Mietern oder sonstigen Nutzern zu.
[…]
Die Kammer folgt der Auffassung des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg auch dahingehend, dass auch solche Sachangaben, die von der Rechtsordnung unter dem Gesichtspunkt der Verantwortlichkeit mit bestimmten einzelnen Personen – namentlich den Grundeigentümern – verknüpft sind, wegen der rechtlichen Auswirkungen insoweit ebenfalls einen entsprechenden Personenbezug aufweisen. Die Bauaufsichtsbehörden haben bei der Errichtung, Änderung, Nutzungsänderung und Beseitigung sowie bei der Nutzung und Instandhaltung von Anlagen darüber zu wachen, dass die öffentlichrechtlichen Vorschriften und die aufgrund dieser Vorschriften erlassenen Anordnungen eingehalten werden, soweit nicht andere Behörden zuständig sind (§ 59 Abs. 1 BauO NRW). Die Verantwortlichkeit für die Einhaltung der maßgeblichen Vorschriften liegt dabei nicht nur – jedenfalls während der Bauphase – beim Bauherrn (vgl. § 52 BauO NRW), sondern – jedenfalls nach Fertigstellung eines Bauvorhabens – auch beim Grundeigentümer als Zustandsverantwortlichen (vgl. § 18 des Gesetzes über Aufbau und Befugnisse der Ordnungsbehörden – Ordnungsbehördengesetz [OBG]). Daher gehören spezifische Angaben zur Beschaffenheit eines bestimmten, im Eigentum einer natürlichen Person stehenden Grundstücks (wie Bodeneigenschaften, Bodenverunreinigungen oder der Zustand der baulichen Anlagen), für die der Grundeigentümer einzustehen hat, zu den personenbezogenen Daten des Grundeigentümers. Nichts anderes gilt beispielshalber daher auch für die sachbezogenen, die Statik betreffenden Angaben in einer Baugenehmigungsakte, die sich auf das Erfordernis der Standsicherheit beziehen.
[…]
Nach Auffassung der Kammer sind nach den vorstehenden Maßgaben damit dem Grunde nach sämtliche Angaben, die in den Bauakten, vor allem in Bauanträgen und Baugenehmigungen, enthalten sind, auch personenbezogen, wenn – wie hier – die betreffende Person, hier der Beigeladene als Grundstückseigentümer, bestimmt oder bestimmbar ist.
VG Gelsenkirchen, Urteil vom 08.03.2021, Az. 20 K 4117/19