OLG Hamm: Traktor-Halter:innen haften nicht bei Unfällen durch Einsatz als Arbeitsmaschine

Neben einem übergroßen Ballon in Kartoffelform fährt ein Traktor auf der Straße
Der Halter oder die Halterin des hier neben dieser freundlichen Riesenkartoffel fahrenden Traktors betreibt sein oder ihr Gefährt gerade und wäre daher klar in der Haftung.

Das Oberlandesgericht (OLG) Hamm befasst sich immer wieder hingebungsvoll mit grundsätzlichen Fragen. Unlängst hatte es mit § 7 Abs. 1 StVG zu tun, der zentralen Haftungsnorm im Straßenverkehrsrecht, die die Betriebsgefahr von Kraftfahrzeugen erfassen soll.

Ein Traktor war im Rahmen des sehr unglücklich verlaufenen Versuchs, eine Tanne zu fällen, auf einem abgesperrten Straßenstück zum Wegziehen bzw. Wegdrücken des Baums genutzt worden. Durch die Rangierversuche mit dem Traktor wurde die Spannung des Stamms erhöht. Beim folgenden Absägen der Baumkrone brach der Stamm und stieß einen Helfer zu Boden, der sich dabei schwer verletzte. Er suchte sein Glück in der Haftung des Halters des Gefährts.

Leitsatz

Beschränkt sich der konkrete Einsatz eines Traktors darin, dass dessen Funktion als Arbeitsmaschine im Vordergrund stand und der Schadensablauf nicht durch den Betrieb des Traktors als Kraftfahrzeug mitgeprägt wurde, scheidet eine Haftung aus Betrieb gem. § 7 Abs. 1 StVG aus.

Aus den Gründen (Hervorhebungen durch den Verfasser)

Das Landgericht hat zu Recht einen Schadensersatzanspruch aus § 7 Abs. 1 StVG verneint.

a)

Voraussetzung des § 7 Abs. 1 StVG ist, dass eines der dort genannten Rechtsgüter „bei dem Betrieb eines Kraftfahrzeuges“ verletzt bzw. beschädigt worden ist. Nach der ständigen Rechtsprechung des VI. Zivilsenats des BGH ist dieses Haftungsmerkmal entsprechend dem umfassenden Schutzzweck der Norm weit auszulegen. Denn die Haftung nach § 7 Abs. 1 StVG ist der Preis dafür, dass durch die Verwendung eines Kraftfahrzeuges erlaubterweise eine Gefahrenquelle eröffnet wird; die Vorschrift will daher alle durch den Kraftfahrzeugverkehr beeinflussten Schadensabläufe erfassen. Ein Schaden ist demgemäß bereits dann „bei dem Betrieb“ eines Kraftfahrzeuges entstanden, wenn sich in ihm die von dem Kraftfahrzeug ausgehenden Gefahren ausgewirkt haben, d.h. wenn bei der insoweit gebotenen wertenden Betrachtung das Schadensgeschehen durch das Kraftfahrzeug (mit)geprägt worden ist […]. Erforderlich ist aber stets, dass es sich bei dem Schaden, für den Ersatz verlangt wird, um eine Auswirkung derjenigen Gefahren handelt, hinsichtlich derer der Verkehr nach dem Sinn der Haftungsvorschrift schadlos gehalten werden soll, d.h. die Schadensfolge muss in den Bereich der Gefahren fallen, um derentwillen die Rechtsnorm erlassen worden ist. Für die Zurechnung der Betriebsgefahr kommt es damit maßgeblich darauf an, dass der Unfall in einem nahen örtlichen und zeitlichen Zusammenhang mit einem bestimmten Betriebsvorgang oder einer bestimmten Betriebseinrichtung des Kraftfahrzeuges steht […].

b)

Bei Kraftfahrzeugen mit Arbeitsfunktionen ist es hierbei erforderlich, dass ein Zusammenhang mit der Bestimmung des Kraftfahrzeuges als eine der Fortbewegung und dem Transport dienenden Maschine (vgl. § 1 Abs. 2 StVG) besteht. Eine Haftung nach § 7 Abs. 1 StVG entfällt daher, wenn die Fortbewegungs- und Transportfunktion des Kraftfahrzeuges keine Rolle mehr spielt und das Fahrzeug nur noch als Arbeitsmaschine eingesetzt wird oder bei Schäden, in denen sich eine Gefahr aus einem gegenüber der Betriebsgefahr eigenständigen Gefahrenkreis verwirklicht hat […]. Eine Verbindung mit dem „Betrieb“ als Kraftfahrzeug kann jedoch zu bejahen sein, wenn eine „fahrbare Arbeitsmaschine“ gerade während der Fahrt bestimmungsgemäß Arbeiten verrichtet.

c)

[…] Erforderlich ist hierbei stets, dass es sich bei dem Schaden, für den Ersatz verlangt wird, um eine Auswirkung derjenigen Gefahren handelt, hinsichtlich derer der Verkehr nach dem Sinn der Haftungsvorschrift schadlos gehalten werden soll, d.h. die Schadensfolge muss in den Bereich der Gefahren fallen, um derentwillen die Rechtsnorm erlassen worden ist. Deshalb lässt sich nur im Einzelfall unter Berücksichtigung aller Umstände entscheiden, wann haftungsrechtlich nur noch die Funktion als Arbeitsmaschine in Frage steht. Dabei ist im vorliegenden Fall insbesondere auch zu berücksichtigen, dass die Straße, auf welcher sich der Traktor im maßgeblichen Zeitpunkt befunden hat, während des Unfallgeschehens für den allgemeinen Verkehr abgesperrt war und ein – ursprünglich vorgesehener – Abtransport des Baumes mit dem Traktor aufgrund der Stammlänge nicht möglich war, so dass der konkrete zum Unfall führende Einsatz des Traktors auf die Arbeitstätigkeit vor Ort beschränkt war. Hinzu kommt, dass der Schaden nicht unmittelbar durch den Einsatz des Traktors selbst, sondern erst nach seinem erfolglosen Versuch des Wegziehens bzw. Wegdrückens des Stammes durch die nachfolgende Sägetätigkeit des Antragstellers eingetreten ist. Demnach ergibt sich bei der notwendigen Gesamtbetrachtung, dass bei dem konkreten Einsatz des Traktors in Gestalt des Wegziehens bzw. Wegdrückens des Baumes die Funktion als Arbeitsmaschine im Vordergrund stand und der Schadensablauf nicht durch den Betrieb des Traktors als Kraftfahrzeug geprägt wurde.

OLG Hamm, Beschluss vom 18.05.2021, Az. 9 W 14/21