13.05.2021: Was über die Kunden des Verschlüsselungsdienstleisters und Krypto-Handy-Anbieters EncroChat – um nur ein paar Stichworte zu nennen: Drogenlabore, tonnenweise Rauschgift, Schusswaffen, verhinderte Auftragsmorde – zu erfahren ist, klingt wie Drehbuchmaterial für Serien wie The Wire oder 4 Blocks. Ist aber Realität, siehe etwa den Beschluss des OLG Hamburg vom 29.01.2021, Az. 1 Ws 2/21.
EncroChat ist seit einer erfolgreichen Operation französischer Behörden Geschichte. Mittlerweile laufen über Frankreich hinaus umfangreiche Ermittlungen. In Deutschland etwa stehen derzeit gegen 3.000 Nutzer:innen im Visier der Strafverfolger:innen.
Erwartungsgemäß wird in Verteidigerkreisen und bei Freund:innen des Rechtsstaats über Beweisverwertungsverbote diskutiert.
Etwas zu leicht macht es sich wohl das OLG Rostock, das allen Ernstes meint:
Schon die Verwendung eines Krypto-Handys der Fa. EncroChat deutet auf ein konspiratives Verhalten zur Begehung und Verdeckung von Straftaten hin
Mir fällt dazu nichts mehr ein. In solchen Situationen ist zum Glück auf Detlef Burhoff Verlass, der den Senatsbeschluss treffend kommentiert und Hinweise zu weiterer Lektüre liefert.
OLG Rostock, Beschluss vom 23.03.2021, Az. 20 Ws 70/21
Nachtrag: Rechtsstaatliches Signal des LG Berlin
11.07.2021: Das LG Berlin sieht in derartigen Fällen ein Beweisverwertungsverbot und begründet in einem 25-seitigen Beschluss, warum die heimliche technische Infiltration gegen das IT-Grundrecht und das Telekommunikationsgeheimnis verstößt. So habe keine gemäß Art. 31 RiLi-EEA, § 91g Abs. 6 IRG erforderliche Vorab-Unterrichtung weder stattgefunden noch sei sie mangels qualifizierten Tatverdachts gegen die betroffenen deutschen Nutzer gemäß §§ 100a, b StPO genehmigungsfähig gewesen.
LG Berlin, Beschluss vom 01.07.2021, Az. (525 KLs) 254 Js 592/20 (10/21)
Nachtrag 2: EncroChat-Erkenntnisse laut BGH verwertbar
06.03.2022: Auf dieser Website war es in letzter Zeit etwas ruhiger, daher ist eine ganze Reihe weiterer EncroChat-Entscheidungen unerwähnt geblieben. Das vorerwähnte rechtsstaatliche Signal hatte das KG aufgehoben (Beschluss vom 30.08.2021, Az. 2 Ws 79/21 und 2 Ws 93/21). Jetzt hat sich auch ein Senat des Bundesgerichtshofs (BGH) positioniert:
Der Senat sieht im Ergebnis die aus der Überwachung der Kommunikation über den Krypto-Messengerdienst encrochat durch französische Behörden gewonnenen Erkenntnisse im Einklang mit der obergerichtlichen Rechtsprechung als im Strafverfahren verwertbar an (vgl. etwa KG, NStZ-RR 2021, 353 mwN).
Detleff Burhoff hilft wie gewohnt bei der Einordnung.
Nachtrag 3:EuGH präzisiert Rechtsrahmen
05.05.2024: In einem Vorlageverfahren des LG Berlin hat jetzt der Europäische Gerichtshof (EuGH) festgehalten (Urteil vom 30.04.2024, Az. C‑670/22): Beweismittel aus anderen EU-Ländern können verwertet werden. Vorausgesetzt, 1) die Überwachung ist im Ursprungsland zulässig, 2) der überwachende Staat informiert denjenigen, dessen Bürger:innen er überwacht, 3) für Beschuldigte besteht die Möglichkeit zur Stellungnahme und 4) es ist eine gerichtliche Überprüfung der Datenweitergabe und -verwendung möglich. Man darf gespannt bleiben. Jens Ferner wendet sich der Thematik eingehend zu.