BGH: Bedeutung einer Vollständigkeitsklausel („Mündliche Nebenabreden bestehen nicht“)

Blick aus doppelverglastem Kneipenfenster auf einen Leuchtturm
Blick aus dem doppelverglasten Fenster eines Pubs auf einen Leuchtturm und ein Kernkraftwerk in Dungeness, Kent. Was von der das Fenster umgebenden Innenraumgestaltung erkennbar ist, legt für den Fall einer Neuvermietung sorgfältige Dokumentation nahe.

In einem gewerblichen Mietverhältnis stritten Vermieterseite und Mieterseite darüber, ob die Vermieterseite doppelt verglaste Fenster hätte einbauen lassen müssen. Die Mieterseite behauptete eine entsprechende mündliche Vereinbarung. Die Vermieterseite berief sich auf den Vertragstext, in dem es

Die Räume werden durch den Vermieter vor Mietbeginn frisch renoviert wie abgesprochen […].

und

Mündliche Nebenabreden zu diesem Vertrag bestehen nicht.

hieß.

Der Bundesgerichtshof (BGH) lässt die Vollständigkeitsklausel bei gleichzeitiger Nichterwähnung einer Doppelverglasung nicht genügen. Die Mieterseite darf den Beweis einer Nebenabrede führen (hier: frisch renoviert meint eben – wie besprochen – auch eine Doppelverglasung). Alles andere würde bei AGB zur Unwirksamkeit der Klausel nach § 305b BGB führen. Auch im Individualvertrag nehme eine Vollständigkeitsklausel vorvertraglichen Absprachen nicht die Wirksamkeit, sie habe auch hier lediglich eine Bestätigungsfunktion.

Rn. 13f. (Hervorhebungen durch den Verfasser):

bb) Denn sogenannte Vollständigkeitsklauseln („Mündliche Nebenabreden bestehen nicht“, „Mündliche Nebenabreden wurden nicht getroffen“, „Mündliche Nebenabreden existieren nicht“) richten sich – gleich ob sie als AGB in den Vertrag einbezogen oder individuell ausgehandelt sind – auf die Bestätigung der Tatsache, dass der schriftliche Vertrag alle zwischen den Parteien vereinbarten Regelungen bezüglich des Vertragsgegenstands enthält. In der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist geklärt, dass solche Klauseln lediglich die ohnehin eingreifende Vermutung der Vollständigkeit und Richtigkeit der schriftlichen Vertragsurkunde wiedergeben, jedoch dem Vertragspartner, der sich auf eine abweichende mündliche Vereinbarung berufen will, die Führung des Gegenbeweises offenlassen […]. Einer Vollständigkeitsklausel wie in § 14 Nr. 1 des Mietvertrags kann demgegenüber keine unwiderlegbare Vermutung für das Nichtbestehen mündlicher Abreden und auch sonst nicht entnommen werden, dass die Absprachen der Parteien aus dem Stadium der vertragsanbahnenden Verhandlungen keine Geltung mehr beanspruchen dürften. Als AGB wäre eine dies bezweckende Formularklausel mit Blick auf §§ 305 b, 307, 309 Nr. 12 BGB ohnehin unwirksam […].

cc) Es ist eine davon zu unterscheidende Frage, ob bereits aus dem Umstand, dass die Parteien eine Vollständigkeitsklausel – sei es als Individualvereinbarung, sei es als AGB – in den schriftlichen Vertrag aufgenommen haben, auf einen übereinstimmenden Willen der Vertragsparteien geschlossen werden kann, mit Abschluss des schriftlichen Vertrags von bestimmten mündlichen Absprachen aus dem Stadium der vertragsanbahnenden Verhandlungen abrücken zu wollen. Auch für eine solche Würdigung wird aber in aller Regel kein Raum sein, weil die Vertragsparteien mit einer Vollständigkeitsklausel nur eine Tatsache bestätigen, aber nicht ihrem Willen Ausdruck verleihen wollen, vorvertraglichen Absprachen schlechthin die Wirksamkeit zu nehmen. Ob ausnahmsweise etwas Anderes gelten kann, wenn der Regelungsgegenstand der vorvertraglichen Absprache im schriftlichen Vertragstext überhaupt nicht behandelt wird und dies nach den besonderen Umständen des Einzelfalls durch den von der vorvertraglichen Zusage begünstigten Vertragspartner nur so verstanden werden kann, dass sich der andere Teil mit Abschluss des Vertrags von dieser Zusage wieder lösen will […], braucht nicht weiter erörtert zu werden. Denn so liegt der Fall hier schon deshalb nicht, weil § 3 Satz 1 des Mietvertrags durch die Wendung „frisch renoviert wie abgesprochen“ bereits eine Andeutung dahingehend enthält, dass sich die Parteien bei Abschluss des schriftlichen Vertrags von vorvertraglichen mündlichen Absprachen zur Beschaffenheit der Mietsache nicht distanzieren wollten.

Beweisführung der Nebenabrede (Rn. 20):

Zu den Voraussetzungen an den Beweisantritt verwirft der BGH den Einwand der Vermieterseite, der Beweis könne nur anhand ganz konkreter Angaben zum Zeitpunkt und Anlass der Nebenabrede geführt werden:

Gemessen daran durfte der Zeugenbeweisantritt auf Vernehmung des Architekten J. nicht unberücksichtigt bleiben. Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts und der Revisionserwiderung musste die Beklagte bei ihrem (Gegen-)Beweisantritt nicht näher konkretisieren, zu welchem Zeitpunkt und bei welcher Gelegenheit der Kläger vor Vertragsschluss eine zusätzliche Verglasung der Fenster des Mietobjekts zugesagt haben soll. Denn die Angabe von Einzelheiten zum Zeitpunkt und zum Ablauf bestimmter Ereignisse ist nicht erforderlich, wenn diese Einzelheiten für die Rechtsfolge der unter Beweis gestellten Haupttatsache – hier: die Zusicherung eines bestimmten Zustands der Mietsache – nicht entscheidend sind. Es ist vielmehr Sache des Tatrichters, bei der Beweisaufnahme den benannten Zeugen nach Einzelheiten zu befragen, die ihm für die Beurteilung der Zuverlässigkeit der Bekundungen erforderlich erscheinen.

BGH, Urteil vom 03.03.2021, Az. XII ZR 92/19